Kommunale Wärmeplanung als Schlüssel zur Wärmewende – Interview mit Geschäftsführer Markus Euring
Wenn falsche Ansätze gute Wärmenetzprojekte verhindern: Markus Euring erklärt, worauf es bei kommunaler Wärmeplanung ankommt.
Warum oberflächliche Machbarkeitsstudien oft zu Fehlentscheidungen führen – und wie Kommunen davon unabhängig werden können
In vielen Städten und Gemeinden laufen derzeit Machbarkeitsstudien zur zukünftigen Wärmeversorgung. Doch nicht immer liefern die Ergebnisse ein realistisches Bild. Markus Euring, Geschäftsführer von ENERPIPE und Vorstand einer Nahwärmegenossenschaft, erklärt, warum manche Studien sinnvolle Wärmenetze verhindern und worauf es wirklich ankommt.
Hier kommt das Interview mit ENERPIPE Geschäftsführer, Markus Euring:
Ist die Kommunale Wärmeplanung Chance oder Pflichtübung für Kommunen?
Markus Euring: Grundsätzlich ist die kommunale Wärmeplanung ein wichtiger Schritt. Sie bringt das Thema Energiewende und klimaneutrales Heizen in die Kommunen - das ist der positive Aspekt. Gleichzeitig führt der enge Zeitrahmen dazu, dass viele Studien von Planern erstellt werden, die wenig Erfahrung mit Wärmenetzen haben. Oft werden Entscheidungen dann allein auf Basis von Tabellenwerten getroffen, beispielsweise zur Wärmedichte oder zu durchschnittlichen Rohrleitungs- und Wärmeerzeugungskosten. Auf dieser Basis soll dann entschieden werden, ob ein Wärmenetz wirtschaftlich ist oder nicht. Das greift zu kurz.
Warum sind solche Standardwerte problematisch?
Markus Euring: Pauschalwerte lassen wichtige Faktoren außen vor. Ein kommunaler Energieversorger hat andere Renditeerwartungen als eine Bürgergenossenschaft. Auch die Tiefbaukosten können stark variieren: Was im dichtbesiedelten urbanen Raum teuer ist, ist im ländlichen Raum oft viel günstiger. Zudem hängt das Ergebnis stark davon ab, wer die Daten erhebt und wer sie interpretiert. Wenn die Studie zu negativ ausfällt, kann das ein willkommenes Argument sein, um ein Wärmenetzprojekt gar nicht erst anzugehen.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Markus Euring: Ja, in einem unserer Projekte in Nordbayern, das 2024 in Betrieb ging, wurde ein Nahwärmenetz von einer Bürgerenergiegenossenschaft umgesetzt. Der Ort umfasst rund 29 Hektar, die Trassenlänge beträgt 5.100 Meter. Nach gängigen Leitfäden - etwa aus Baden-Württemberg - würde die berechnete Wärmedichte von 75 MWh pro Hektar und die Belegungsdichte von 430 kWh pro Meter eigentlich gegen ein Wärmenetz sprechen oder höchstens für ein Neubaugebiet geeignet sein. Trotzdem ist das Projekt ein wirtschaftlicher Erfolg geworden. Das zeigt: Standardkennzahlen können in der Praxis irreführend sein, wenn sie nicht im richtigen Kontext bewertet werden.
Welche Faktoren bestimmen die Wirtschaftlichkeit wirklich?
Markus Euring: Entscheidend ist die Kombination aus Betreiberform, Anschlussquote, Energiequelle und Baukosten. Ein Wärmepreis setzt sich meist aus drei Bestandteilen zusammen: der einmaligen Anschlussgebühr (8.000–20.000 €), einer monatlichen Grundgebühr (20–100 €) und dem Arbeitspreis (5–17 ct/kWh). Diese Blöcke beeinflussen sich gegenseitig. Wer z. B. eine höhere Anschlussgebühr verlangt, reduziert die Finanzierungskosten und kann dadurch einen günstigeren Arbeitspreis anbieten. Auch die Wärmequelle spielt eine große Rolle: Abwärme aus einer Biogasanlage oder ein Biomasseheizwerk können die Kosten deutlich senken. Ebenso sind die Tiefbaukosten entscheidend: sie reichen je nach Region von 50 bis 1.500 €/m. Wichtig ist also, dass man auch bei einer niedrigen Energiedichte pro Hektar positive Effekte haben kann, die eine Wirtschaftlichkeit ermöglichen können.
Wie lief das angesprochene Nordbayern-Projekt konkret ab?
Markus Euring: Im Sommer und in der Übergangszeit bezieht das Netz Wärme aus einer örtlichen Biogasanlage. Im Winter kommt ein neu errichtetes Biomasse-Heizhaus mit Pufferspeicher zum Einsatz. Alle Arbeiten wurden von regionalen Firmen ausgeführt. Statt der in Tabellen erwarteten 1.200 €/m liegen die tatsächlichen Rohr- und Tiefbaukosten bei nur rund 400 €/m. Dadurch konnten faire Konditionen erreicht werden: 10.000 € Anschlussgebühr, 40 € Grundgebühr im Monat und ein Wärmepreis von 10,2 ct/kWh. Wären die Leitungskosten doppelt so hoch gewesen, hätte der Preis bei rund 18 ct/kWh gelegen. Mit einem teureren Wärmeerzeuger oder einem Energieversorger als Betreiber wären es schnell über 20ct/kWh gewesen - das hätte viele potenzielle Kunden abgeschreckt.
Nach welchen Kriterien sollte man Wärmenetzgebiete abgrenzen?
Markus Euring: Neben der Wärmedichte müssen Energiequellen, Betreiberform und Baukosten berücksichtigt werden. Gerade im ländlichen Raum sind die Kosten oft deutlich niedriger, als viele Studien annehmen. Um Kommunen bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen, haben wir einen Wärmenetz-Rechner entwickelt, der verschiedene Szenarien transparent darstellt.
Wer kann ein Wärmenetzprojekt umsetzen?
Markus Euring: Ideal ist ein Partner, der die gesamte Wertschöpfungskette abdeckt - von der Planung über die Projektierung bis hin zur Wärmeerzeugung.
Im ländlichen Raum braucht es zudem Erfahrung mit örtlichen Gegebenheiten. Auch die frühzeitige Einbindung der Gemeinde ist wichtig. Wenn der Bürgermeister hinter dem Projekt steht, steigen die Erfolgschancen enorm. Wichtig ist außerdem: Wenn Wärmeerzeugung und Wärmelieferung in unterschiedlichen Händen liegen, schafft das Vertrauen und Akzeptanz bei den Bürgern. Eine gute Kommunikation ist das A und O - sie entscheidet oft über Erfolg oder Misserfolg.
Welche Wärmeerzeuger spielen künftig eine Rolle?
Markus Euring: Die Zukunft gehört hybriden Systemen. Die Kombination aus verschiedenen Energiequellen wie Biomasse, Abwärme, Solarthermie, Power-to-Heat oder Großwärmepumpen sorgt für Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit. Welche Lösung die beste ist, hängt immer von den örtlichen Ressourcen ab: Gibt es viel Wald? Dann spricht vieles für Biomasse. Gibt es Windstromüberschüsse? Dann kann Power-to-Heat sinnvoll sein. Es gibt keine Standardlösung, nur individuelle Konzepte.
Welche Betreiberform ist empfehlenswert?
Markus Euring: Das hängt von der lokalen Struktur ab oder ob sich ein Stadtwerk der Sache annimmt. In vielen Fällen funktionieren Bürgerenergiegenossenschaften sehr gut, weil sie kostengünstig und transparent arbeiten. Unsere Erfahrungen zeigen, dass kleinere Netze oft günstiger realisierbar sind als große zentrale Lösungen. Besonders beim Rohrleitungs- und Tiefbau sowie bei der Betreiberform liegt ein großes Einsparpotenzial - wie unser Beispiel mit nur 400 €/m deutlich zeigt. In diesem Projekt wurde eine Genossenschaft gegründet und unkonventionelle Komponenten eingesetzt, wodurch ein sehr günstiger Wärmepreis realisiert werden konnte – deutlich günstiger als in den gängigen Katalogen angegeben.
Zum Thema Betreiberform sehen Sie hier einen interessanten Vortrag ab Min. 23 von Markus Euring (Vortrag beginnt bei Min. 17:45)
Fazit
Viele Wärmenetzprojekte scheitern nicht an der Technik, sondern an falschen Annahmen. Wer sich auf pauschale Kennwerte verlässt, riskiert, gute Chancen zu verpassen. Eine fundierte, praxisnahe Analyse - kombiniert mit erfahrenen Partnern - zeigt, dass sich auch vermeintlich „unwirtschaftliche“ Wärmenetze erfolgreich realisieren lassen.

